Im Jahr 2018 veröffentlichte die Fachzeitschrift The Lancet drei Fachartikel, die von 31 Forschern von verschiedenen Fachdisziplinen und 12 verschiedenen Staaten geschrieben wurden (das Chiropraktor-Haus berichtete damals). Die Serie über Rückenschmerzen machte auf die steigende Zahl von Personen mit Rückenschmerzen im unteren Rücken aufmerksam, die teilweise weniger hochwertiger Behandlung zugeschrieben wurde.

Rückenschmerzen im unteren Rücken sind weit verbreitet. Quelle Foto: Kiropraktoren Nr. 2 2018, S. 7

Viele Personen mit Rückenschmerzen in der Lendenwirbelsäule (unterer Rücken) erhalten die falsche Behandlung. Dies verursacht Leiden für Millionen von Menschen und  verschwendet wertvolle Ressourcen im Gesundheitssystem. Auf Grundlage einer aktuellen und evidenz-basierten Synthesis [Anm.: Evidenz ist eine Erkenntnis, die auf wissenschaftlichen Forschungsergebnissen basiert, die durch Forschungsstudien, die hohen Qualitätsanforderungen genügen müssen, hervorgebracht werden] beschrieben die drei in The Lancet veröffentlichten Artikel aktuelle Behandlungen, die auf medizinischen Leitlinien für Rückenschmerzen im unteren Rücken beruhen, und neue Strategien. Die Autoren schlugen zudem verschiedene Maßnahmen vor, um den alarmierenden Anstieg von Behinderungen bzw. Beeinträchtigungen durch Rückenschmerzen im unteren Rücken weltweit umzukehren. Ein besseres Verständnis von Rückenschmerzen im unteren Rücken in verschiedenen Kulturen und Veränderungen in der Art, wie Behandlungen für Rückenschmerzen im unteren Rücken an den Patienten „geliefert“ werden, und wie Ärzte vergütet werden sind die Schlüssel zur Lösung des Problems.

Rückenschmerzen im unteren Rücken (Lendenwirbelsäule) ist ein verbreitetes Problem, das alle Altersgruppen von Kindern bis zu Senioren betrifft. Während es für nur einen kleinen Anteil von Betroffenen sehr beeinträchtigend ist, bedeutet die weite Verbreitung, dass Rückenschmerzen im Jahr 2015 verantwortlich waren für 60,1 Millionen Beeinträchtigungs-angepasste Lebensjahre. Dies ist ein Anstieg von 54% im Vergleich zum Jahr 1990. Rückenschmerzen im unteren Rücken ist diejenige Ursache für Behinderung, die weltweit an erster Stelle steht und dies bei Männern und Frauen gleichermaßen. Rückenschmerzen im unteren Rücken sind sehr teuer für das Gesundheitssystem. Rückenschmerzen in der Lendenwirbelsäule sind zudem die häufigste Ursache für Krankschreiben und Frühverrentung in Europa und damit auch für das Sozialsystem sehr teuer.

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Chiropraktor Alexander Meier zeigt, in welchem Bereich man von Rückenschmerzen im unteren Rücken spricht.

In Staaten mit hohem Einkommen suchen ca. 50% der Personen mit Rückenschmerzen pro Jahr medizinische Hilfe und 30% haben in den letzten drei Monaten medizinische Hilfe ersucht. Die Verbreitung von medizinischer Unterstützung, die wenig Effektivität hat – wie die Vorstellung in einer Notaufnahme, der freimütige Gebrauch von diagnostischer Bildgebung, Opioide, Injektionen in die Wirbelsäule und Operationen – hat zu medizinischen und menschlichen Kosten, die durch die Decke gehen, geführt. Studien zeigen, dass 59% der MRTs bei Rückenschmerzen im unteren Rücken unangemessen sind. Unnötige Scans im MRT bei Personen, die keinen medizinisch ernsthaften Zustand haben, führen zu enormen Kosten im Gesundheitswesen. Eine Studie von 2019 zeigte, dass Bildgebung mit höheren medizinischen Kosten, erhöhter Nutzung der Angebote im Gesundheitssystem und mehr Abwesenheitstagen von der Arbeit verbunden war im Vergleich zu Gruppen, die keine Scans erhielten. Obgleich geringe Evidenz vorliegt für die Unterstützung der meisten Beschwerden im Rücken und eine 20%ige Fehlerrate vorliegt, wird zudem sehr viel Geld für Wirbelversteifungsoperationen ausgegeben. In den USA sind dies die höchsten aggregierten Krankenhauskosten.

Im zweiten Artikel von The Lancet wurde aufgezeigt, dass es eine globale Lücke gibt zwischen Evidenz und Praxis gibt [Anm.: Evidenz ist eine Erkenntnis, die auf wissenschaftlichen Forschungsergebnissen basiert, die durch Forschungsstudien, die hohen Qualitätsanforderungen genügen müssen, hervorgebracht werden]. Dies führt zum einen zu Überbenutzung von medizinischer Unterstützung mit geringem Wert und zu Unterbenutzung von medizinischer Unterstützung mit hohem Wert.

Vielfach werden Medikamente gegen Rückenschmerzen angewendet. Was Medikamente betrifft, so ist die Verschreibung von Opioiden am gefährlichsten und kann zu Abhängigkeit führen. Es gibt Evidenz, dass das Hinzufügen von Opioiden zu nonsteroidalen entzündungshemmenden Medikamenten keine Verbesserung für Personen mit Rückenschmerzen im unteren Rücken bringt.

Es wird noch nicht genug getan, um gegen die steigende Last von Rückenschmerzen im unteren Rücken anzugehen. In The Lancet wurden vielversprechende Lösungen identifiziert, darunter die fokussierte Implementation von best practices, die Umstellung von klinischen Pfaden, integrierte Gesundheits- und Arbeitsmarktunterstützung, Veränderung im Vergütungssystem und in den Gesetzen und Strategien für öffentliche Gesundheit und Prävention.

Quelle: Dansk Kiropraktor Forening

Die Autoren der The Lancet Fachartikel haben 10 Aktionen vorgeschlagen, um die globale Herausforderung von beeinträchtigendem bzw. behindernd machenden Rückenschmerzen im unteren Rücken (Lendenwirbelsäulenschmerzen) anzugehen:

  • Diejenigen, die für Gesundheitsleistungen zahlen, sollten aufhören, für ineffektive und leidbringende Tests und Behandlungen zu zahlen und Forschung für jene Gesundheitsleistungen, die unbewiesen sind, in Auftrag geben.
  • Neue Tests und Behandlungen sollten nicht beworben werden, angewendet werden oder erstattet werden, bevor sie angemessen überprüft wurden auf ihre Sicherheit, Wirksamkeit und Kosten-Effektivität.
  • Gesundheits- und soziale Dienstleistungsanbieter sollten mit Arbeitgebern zusammenarbeiten, um eine frühe Rückkehr auf den Arbeitsplatz anzuregen und Arbeitsbedingungen zu bieten, die angepasst sind auf die Kapazität des Angestellten.
  • Patienten sollte beigebracht werden, Rückenschmerzen im unteren Rücken selbst zu managen und Gesundheitsdienstleistungen nur nachzufragen, wenn sie wirklich gebraucht werden.
  • Weit verbreitete und nicht zutreffende Glaubenssätze über Rückenschmerzen im unteren Rücken in der Bevölkerung und in der medizinischen Fachgruppe sollten herausgefordert werden und der Fokus auf die Auswirkung von Rückenschmerzen im unteren Rücken auf das Leben der Leute statt auf die Nachfrage nach medizinischer Behandlung „zur Heilung“ gesetzt werden.
  • Klinische Abläufe, Pläne für Behandlungen und andere standardisierte Werkzeuge für das Management von Rückenschmerzen im unteren Rücken sollten überarbeitet werden, um eine Integration von Gesundheitsbehandlungen und Arbeitsmarktdienstleistungen zu bewirken – aber erst nach der Etablierung von vergleichender Effektivität und Kosten-Effektivität.
  • Vergütungssysteme und Gesetze sollten geändert werden, um die „Lieferung“ der richtigen Behandlung zu fördern.
  • Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollte neue Politikinhalte und dringende politische Handlungen unterstützen, um als Priorität sicherzustellen, dass Strategien umgesetzt werden, um die Behinderungen/Beeinträchtigungen weltweit durch Rückenschmerzen im unteren Rücken zu reduzieren.
  • Forschungsinstitute und zahlende Organisationen (Fonds) sollten in eine intensivierte Forschung investieren, um Lücken im Verständnis von Rückenschmerzen im unteren Rücken anzugehen sowie Forschung zur Umsetzung, wie existierendes Wissen am besten im Alltag genutzt werden kann.
  • Fachzeitschriften und Medien sollten mehr Überblick über Herausgeber und peer reviewer [Anm.: Gutachter; peer-review ist eine Methode zur Qualitätssicherung wissenschaftlicher Artikel durch unabhängige Gutachter aus dem gleichen Fachgebiet] haben, um sicherzustellen, dass die Ergebnisse von klinischen Versuchen akkurat wiedergegeben werden und keine ungerechtfertigten Glaubenssätze in der Wirksamkeit von neuen (oder etablierten aber nicht nachgewiesenen) Therapien wiederspiegeln.

Quelle:  

Buchbinder, Rachelle/Underwood, Martin/Hartvigsen, Jan/Maher, Chris 2020: The Lancet Series call to action to reduce low value care for low back pain: an update, in: Pain, September, volume 61, S57-S64, unter: https://journals.lww.com/pain/Fulltext/2020/09001/The_Lancet_Series_call_to_action_to_reduce_low.7.aspx (abgerufen am 14.10.2020).

15.10.2020 Ι aus der Forschung